Mythos Schinderhannesbande |
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"Zwei Bücher mit einem völlig neuen Bild von Schinderhannes als Räuber"hauptmann" ohne Bande und kolossalem Verräter" |
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Teil I (Die beiden Bücher) |
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Impressum | |||
Das erste der beiden von Christian Vogel vorgelegten Bücher
ist eine umfassende Aufarbeitung des gesamten zu Schinderhannes und seinen Kumpanen vorliegenden Materials und hat zu einem völlig anderen Schinderhannes-Bild geführt. Das gebundene Buch (ISBN 978-3-945423-04-2) hat insgesamt 445 Seiten mit 103 Abbildungen und 718 teilweise sehr umfangreichen Fußnoten. An den Text schließen sich an Verzeichnisse der benutzten Archive, zeitgenössischer Zeitungen und Drucke sowie neuer Darstellungen. Außerdem gibt es ein Ortsregister. Es ist zum Preis von EURO 16,50 erhältlich im Buchhandel oder direkt beim Autor Christian Vogel, Hintergasse 4, 61194 Niddatal, e-mail christian_vogel40@yahoo.de. |
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Das zweite Buch von Christian Vogel setzt das erste voraus und ist nur eine Kurzfassung von diesem. Es hat daher keine Fußnoten und Verzeichnisse. Es ist auch auf Schinderhannes beschränkt und enthält keine Biografien sonstiger Personen. Für dies alles ist auf die längere Fassung zurückzugreifen. Das Buch im DIN A5 Format mit Klebebindung (ISBN 978-3-945423-07-3) hat insgesamt 231 Seiten mit 71 Abbildungen und ist zum Preis von EURO 10,80 erhältlich im Buchhandel oder direkt beim Autor Christian Vogel, Hintergasse 4, 61194 Niddatal, e-mail christian_vogel40@yahoo.de.
Teil II Ein völlig anderes Bild von Schinderhannes
Dabei ist unerwartet ein völlig neues Schinderhannes-Bild herausgekommen. An dem großen Räuberhauptmann Schinderhannes ist im wahrsten Sinne des Wortes nichts dran. Dass es mit dem edlen Räuberhauptmann nichts auf sich hatte, war inzwischen ja bekannt. Dass die Einstufung von Schinderhannes als Räuber“hauptmann“ insgesamt nicht mehr als ein Mythos war, aber nicht. Wie sich aus umfassender Untersuchung des gesamten Umfeldes von Schinderhannes ergeben hat, gab es nie eine Schinderhannes-„Bande“. Der Räuber hatte in seiner Hohen Zeit regelmäßig lediglich zwei ständige Gefährten, die aber immer nur kurze Zeit blieben und ständig ersetzt wurden. Für seine Überfälle stockte er diese Gefährten durch nicht mehr als eine Handvoll Ganoven auf, die sich so ergaben und selten auch nur zweimal mitmachten. Und auch dies war ihm in seiner letzten Zeit nur möglich, weil er relativ harmlose Bauern als Hilfsräuber einspannte (die er dann durch Verrat um ihren Kopf brachte). Nie waren seine Kumpane mehr als ein Dutzend und selten auch nur zehn. Und seine Überfälle waren eine einzige Kette von Scheitern, ihr Ergebnisse brachten in der Regel nicht mehr als nötig war, um einige weitere Zeit über die Runden zu kommen. Schinderhannes war nie mehr als Gelegenheitsanführer von Ganoven bei nachrangigen Überfällen, in die er einige wenige Kurzzeit-Kumpane zu ziehen verstand. Was Schinderhannes zum berühmtesten deutschen Räuber gemacht hat, war ein politischer Mythos, der mit dem realen Schinderhannes kaum etwas zu tun hatte. Ein Mythos, der den als solchen unbedeutenden Räuberanführer dann verschlang. Wegen dieses Mythos, nicht wegen seiner unbedeutenden Taten hatte er ein Weiterleben bis heute.
Christian Vogel hat zu diesem Thema zwei Bücher vorgelegt. a) Beweisführung durch wissenschaftlich fundierte Aufarbeitung des gesamten vorliegenden Materials auf 445 Seiten mit 718 teilweise sehr umfangreichen Fußnoten und Verzeichnissen benutzter Archivalien und historischer Zeitungen sowie zeitgenössischer und neuerer Literatur. Hier sind auch die Kumpane von Schinderhannes einzeln behandelt. b) Reduzierung (ohne Fußnoten, Verzeichnisse und Biografien anderer Personen) auf Schinderhannes selbst, auf nur noch 231 Seiten.
Wesentliche Ergebnisse der umfassenden Aufarbeitung sind:
Schinderhannes, gezeichnet von Ernst, auf dem Deckblatt der ersten Schinderhannes-Biografie von Staatsanwalt Tissot
1. Ermittelt werden konnte als Verfasser der ersten noch zu Schinderhannes‘ Lebzeiten anonym erschienenen Biografie Staatsanwalt Tissot, der das Todesurteil gegen Schinderhannes beantragt hat. Die Zuschreibung des hervorragenden Textes an Schinderhannes-Richter Rebmann (und einer in Stuttgart erschienenen bloßen Kurzfassung an Zeitungsredakteur Weitzel) trifft nicht zu. Dagegen konnte der Verfasser der wesentlich schlechteren Konkurrenz-biografie Becker (im ersten Teil der „Aktenmäßigen Geschichte der Räuberbanden an den beiden Ufern des Rheins“) als gewohnheitsmäßiger Fälscher entlarvt werden. In dieser Darstellung finden sich für den frühen Schinderhannes bis 1800 eine ganze Reihe von in lebhaften Farben geschilderten Episoden, für die sie die einzige Quelle sind. Recherchen, die erst das Internet ermöglicht, haben indes ergeben, dass Becker bereits seine erste Auftragsarbeit (über einen Großmeister des Deutschen Ordens) auf eine frei erfundene Chronik gestützt hat. Dies relativiert Angaben, die nur auf ihn zurückgehen, völlig.
2. Erwiesen hat sich der historische Schinderhannes als räumlich nur beschränkte Erscheinung. Seit seiner Flucht aus Kirn bewegte er sich (mehr als im bloßen Durchgang) links des Rheins nur in dem Raum ganz ungefähr zwischen Hohem Hunsrück im Westen und dem Einzugsgebiet der Alsenz im Osten. In Rheinhessen und der Rheinpfalz ist er so nur in einem Randgebiet belegt. Für die Gegend jenseits der Mosel, die Hauptstadt Mainz, aber auch z.B. Kreuznach überhaupt nicht. Im Rechtsrheinischen ist er nur in einem mehr oder weniger breiten Streifen vom Neckar bis zur Lahn belegt. In diesem hätte er sich nach eigenen Angaben ständig als Händler bewegt. Für das spätere Nassau wie das spätere Oberhessen gibt es konkrete Belege aber nur aus Södel und im Zusammenhang mit dem längeren Aufenthalt auf der Hasenmühle. Als rechtsrheinische Überfälle hat er in seinem Verhör in Frankfurt nach der Verhaftung hat Schinderhannes nur die drei in Würges, Baiertal und Södel genannt. Wenn er dennoch an diversen Orten in Wetterau, Taunus und Westerwald in der örtlichen Überlieferung als Räuber auftaucht, so dürfte es sich – soweit es überhaupt einen Tatsachen-hintergrund gibt – allenfalls um örtliche Legenden handeln, bei denen Schinderhannes nur ein Synonym für Räuber schlechthin ist. Im Übrigen finden sich angebliche örtliche Überlieferungen oft bereits in den frühen Drucken.
Aufenthalte und Überfälle von Schinderhannes 1801/02 Würfel: Belegte Aufenthalte von Schinderhannes auf dem rechten Rheinufer X: Linksrheinische Überfälle Januar bis September 1801 Viereck: „Schinderhannes-Land“ September 1801 bis März 1802
3. (1777) Der 24. Oktober 1777 als Geburtsdatum von Schinderhannes konnte geklärt werden. Dies ist wesentlich für eine exakte Einordnung des jungen Schinderhannes. Der entsprechende Eintrag im Kirchenbuch des Geburtsortes Miehlen im Taunus (drei Monate nach dem Eheeintrag der Eltern) wurde zwar schon von Gensicke Schinderhannes zugeordnet. Nicht bekannt waren ihm aber die Stellen der Prozessakte, in denen Vater und Sohn Bückler übereinstimmend den Geburtstag von Schinderhannes in den Oktober setzten und der Vater ihn als sein erstes Kind bezeichnete. Dass das Kind die Vornamen Friedrich Philipp erhielt, lässt sich zwangslos aus der Familiengeschichte ableiten. Die Mussehe ihrer Tochter mit einem Abdecker hat die Familie der Mutter nur zähneknirschend akzeptiert. Nicht aber, dass das Kind auch noch den Vornamen des Vaters Johannes erhielt (und so tatsächlich der Rufname „Schinderhannes“ vorgezeichnet war). Das Kind erhielt daher als Vornamen die seiner beiden Paten. Später nach der Flucht nach Mähren konnte der Vater dann durchsetzen, dass sein Ältester doch seinen Vornamen trug.
Geburtseintrag von Schinderhannes im Kirchenbuch von Miehlen: „Aetas (Alter): den 24ten Octob. (1777) Nomen (Namen): Friedrich Philipp Parentes (Eltern): Johannes Bickler / Anna Maria Susceptores (Paten): 1) Friedrich Bickler v. Mertzhausen 2) Elisab. Kathar. Johannes Buschen Fr(au) 3) Joh. Phil Bingel v. Singhofen“
4. (1784-87) Hinreichende Berücksichtigung hat jetzt gefunden, dass Schinderhannes in entscheidenden Jahren im Alter von 7-10 als Soldatenkind in Mähren geprägt wurde, wo er auch zuerst zur Schule ging. Er fiel daher nach der Rückkehr des Vaters in dessen alte Heimat am Hunsrück durch Hochdeutsch auf und hatte als Junge, der die weite Welt gesehen, stets eine Sonderstellung. Dass er rudimentär Lesen und Schreiben und damit als angebildet gelten konnte, dürfte hier seine Wurzel gehabt haben. Der Inbegriff des Hunsrückers ist weder im Hunsrück geboren noch in den entscheidenden Jahren dort sozialisiert worden und sprach auch nicht den dortigen Dialekt. Insgesamt hat er nicht die Hälfte seines kurzen Lebens im Hunsrücker Land (im weitesten Sinn) verbracht.
5. (Seit 1788) Hinreichend berücksichtigt wurde jetzt auch der soziale Zwiespalt, in dem Schinderhannes als Sohn eines ehemaligen Abdeckers aufwachsen musste. Letztlich liegt hier der Grund für sein alsbaldiges Ausscheiden aus der Gesellschaft. Sozial gehörte er ganz einfach nirgendwo hin. Die Mutter, die mit ihrem Mann bis zum Pranger in Mainz zusammenblieb, verhinderte, dass Mann und Sohn den verfemten Beruf des Abdeckers ausübten. Während der Vater eine Nische als Flurschütz und Vieharzt fand, wäre dem Sohn auf dem Boden der Gesellschaft wie seinem jüngeren Bruder nur eine kümmerliche Existenz als Hilfsarbeiter geblieben. Dass er sich in eine solche nicht einordnen konnte und mochte, machte ihn zwangsläufig zum Straftäter, für den kein Platz mehr in der Gesellschaft war. Mehrfach aus Haft entkommen, musste er sich Ende 1796 als Outlaw in den Hohen Hunsrück zurückziehen.
6. (1797-98) In zwei Jahren als vagabundierender Viehdieb im Hunsrück (im weitesten Sinn) war Schinderhannes nicht mehr als ein Kleinkrimineller ohne Wohnsitz, wie es sie überall gab. In der Regel begleitete ihn ein anderer Jungganove, der allerdings ständig wechselte. Überregionale Bedeutung hatte er nicht. Zugute kam ihm, dass inzwischen das durch die Französische Revolution völlig umgestaltete Frankreich Deutschland links des Rheins in Besitz genommen hatte und dort eine radikale Umgestaltung der politischen Verhältnisse vornahm, während der die Justiz weitgehend ausfiel.
7. (1799/1800) Halbjährige Haft im Turm von Simmern und abenteuerliche Flucht verschafften dem jetzt 22 Jahre alten einen Ruf unter Ganoven. Als er, wieder in Freiheit, hieran anzuknüpfen und statt zu zweit auf kleine Diebstähle auszugehen sich an Überfällen ganzer Gruppen von Ganoven zu beteiligen versuchte, scheiterte er allerdings spektakulär. Ein auch nur mittelfristiges Bündnis mit mehreren Ganoven gelang ihm nicht. Er hatte als Folge seiner Erziehung ganz einfach nicht die Qualitäten eines Anführers: Fähigkeit zu Reflexion und Selbstbeherrschung. Seit er wieder in Freiheit war, hatte er im Übrigen fast immer zwei ständige Gefährten, die aber ebenfalls nie lange blieben. Aus mehr bestand seine „Bande“ im Sinne des Begriffes nie.
Schinderhannes-Turm in Simmern, aus dem Schinderhannes 1799 nach einem halben Jahr harter Haft entfliehen konnte. Illustration J. St. Porter.
8. (1800) Gezielte Beschränkung auf Übergriffe auf Juden brachte Schinderhannes auf die Ruhmesbahn. Wer Schinderhannes darauf stieß, findet sich nicht überliefert. Jedenfalls war es ein geniales politisches Manöver, wie ihm auch sein Richter bescheinigte. Dem einfachen Kriminellen gelang es, seinen Überfällen den Anstrich eines Freiheitskampfes gegen die französischen Besatzer zu geben und so von der Frustration zu profitieren, die das Deutschland links des Rheins weitgehend erfasst hatte. Der französische Sieg in den Revolutionskriegen und dass damit die Rheinlande erst einmal französisch wurden, war jetzt Gewissheit. Offenen Widerstand gegen die Fremdherrschaft gab es zwar nicht, die Mehrheit der Linksrheiner empfand sie aber naturgemäß als Schmach. Da musste es befreiend wirken, wenn es plötzlich jemand gab, der es den Franzosen zu zeigen schien. Zwar nicht diesen direkt, aber doch Leuten, die als ihre Verbündeten gelten konnten. Und das waren die Juden, die nicht als solche, sondern durch ihre völlige Gleichstellung mit der Mehrheitsbevölkerung deren ganzen Hass auf sich zogen. Wenn Schinderhannes die Juden schlug, so war dies für die Mehrheits-bevölkerung, als schlüge er die französischen Besatzer. Mit seinem neuen Kurs rückte Schinderhannes in die Rolle von so etwas wie dem Widerstandskämpfer gegen die Franzosen schlechthin. Dies verschaffte ihm gegenüber der Bevölkerung vorübergehend einen Spielraum, den er vorher so nicht gehabt hatte. Und verschaffte ihm seinen bleibenden Nachruhm. Wirklich daraus machen konnte er für sein konkretes Räuberleben aber nur wenig. Weil er auch jetzt keine Kumpane in hinreichender Anzahl fand, gerieten auch in der Folge seine Überfälle nicht über den bescheidenen Umfang hinaus, den sie schon vorher gehabt hatten. Eine „Bande“ hatte er weiterhin nicht. Er hatte nur einen von der Wirklichkeit völlig abgekoppelten Ruf wie Donnerhall.
Abbildung in der Erstbiografie: Schinderhannes mit seinen zwei ständigen Gefährten zwingt eine größere Anzahl von Juden, ihre Schuhe auszuziehen. (Die Juden fielen allerdings bereits auf den Schinderhannes-Mythos herein und glaubten, dass die drei Räuber nur die Vorhut einer im Hinterhalt liegenden großen Bande seien).
9. Der Mythos vom Großen Räuberhauptmann Schinderhannes und seiner großen Bande, der jetzt links des Rheins aufkam, entfaltete dafür ein völliges Eigenleben. Was da von Mund zu Mund verbreitet wurde, hatte mit der Wirklichkeit des kleinen Räuberanführers aber auch gar nichts mehr zu tun. Die französischen Besatzer und ihre deutschen Gehilfen haben dies nicht überblickt. Sie fielen voll auf dem Mythos herein und machten selbst aus dem kleinen Gelegenheitsanführer von nie mehr als einer Handvoll nie bleibender Kumpane den Chef eines ganzen Netzwerkes von Banden. Und weil sie zur Bekämpfung des vermeintlichen Großräubers dies systematisch durch Proklamationen in ihrem Besatzungsgebiet verbreiteten, arbeiteten sie dem Mythos direkt vor. Als der Mythos sich im folgenden Jahre immer mehr ausweitete und der Hohe Hunsrück, - wo Schinderhannes sich längst nicht mehr aufhielt, - zu seinem fiktiven Hauptschauplatz wurde, hat die Besatzungsmacht sogar ganze Militäreinheiten gegen Schinderhannes dahin entsandt, wo er gar nicht war.
Ältester bekannter Schinderhannes-Druck, unmittelbar nach dem Überfall von Würges (jetzt entdeckt).
In der Frankfurter Presse wurde die Schinderhannes-Bande gleich nach dem Überfall von Würges auf 1000 Mann gebracht.
10. (1801/02) Seit Schinderhannes wegen der völlig überzogenen Maßnahmen gegen ihn Ende 1800 über den Rhein gewechselt war, teilte er sein Leben in gewöhnlichen Aufenthalt auf der rechten Seite des Rheins und Überfälle links des Rheins im französischen Machtbereich. Auf der rechten Seite des Rheins begnügte er sich mit der bescheidenen Rolle eines reisenden Händlers. Und um seinen Lebensunterhalt durch zusätzliche Straftaten zu bestreiten, überschritt er in den folgenden fast anderthalb Jahren den Fluss etwa zehnmal. Die französische Justiz hatte bis zu seiner Verhaftung hiervon keine Ahnung.
Größere Aktivitäten als Räuber sind aber nicht zu erkennen. Zunächst hat Schinderhannes zwar versucht, mit rechtsrheinischen Räubern gemeinsame Sache zu machen, und sich - mit lediglich drei Gefährten - an dem großangelegten Überfall auf das Posthaus in Würges im Westerwald beteiligt. Weil sein Name hier gezielt in die Öffentlichkeit gebracht wurde, führte dieser erste rechtsrheinische Überfall ungeachtet seines bescheidenen Anteils dazu, dass sich der Schinderhannes-Mythos fast blitzartig auch auf der rechten Rheinseite ausbreitete. Die imaginäre Schinderhannes-Bande wurde jetzt auf 1000 Mann beziffert, gegen die die rechtsrheinischen Regionalmächte mit den beim Ende der Revolutionskriege auf der rechten Seite des Rheins militärisch noch dominanten Franzosen ebenfalls reguläres Militär entsandten. Daran änderte nichts, dass der wirkliche Schinderhannes rechts des Rheins als Räuber fast nicht in Erscheinung trat. Dass er als bloßer Mitläufer noch an zwei weiteren rechtsrheinischen Überfällen beteiligt war, davon erfuhr die Öffentlichkeit nichts. Wenn rechtsrheinisch Schinderhannes weit über das ganze Rhein-Main-Gebiet verstreut der Gegenstand einer Fülle von „Anekdoten“ – ja fast ein Synonym für Räuber – ist, gibt es dafür jedenfalls nirgendwo einen Beleg.
Beidseits des Rheins gingen Ruf und wirkliche Taten immer weiter auseinander.
In seiner letzten Zeit als linksrheinischer Räuber hatte Schinderhannes seine Basis in dem kleinen Lettweiler südlich von Kreuznach, von wo aus er in der Umgebung seine bäuerlichen Hilfsräuber rekrutierte.
11. Dass sein Ruf ihm so buchstäblich über den Kopf wuchs, führte letztlich das Ende von Schinderhannes herbei. Im Laufe des Jahres 1801 konsolidierte sich die französische Herrschaft im linksrheinischen Deutschland immer weiter, und Schinderhannes wurde da wegen seiner bloßen Existenz immer mehr zum Stachel im Fleisch, den es zu entfernen galt. Die von den Besatzern ergriffenen Maßnahmen hatten jedenfalls zur Folge, dass der Aktionsradius für seine ohnehin nur nachgeordneten Aktivitäten immer weiter eingeschränkt wurde. Dementsprechend konnte er bald nur noch auf seine beiden ständigen Gefährten, manchmal noch den einen oder anderen zusätzlich zurückgreifen. Überfälle auf Juden wurden durch Maßnahmen der Besatzer schon seit Anfang 1802 unmöglich, so dass er zur Erpressung von Mitgliedern der christlichen Mehrheitsbevölkerung überging. Auch dies wurde unmöglich, als Ungeschick im April 1802 zur Enttarnung seiner Basis Lettweiler und deren Auffliegen geführt hatte. Als er anschließend eine letzte Expedition über den Rhein ohne Ergebnis beendet werden musste, war das Räuberdasein von Schinderhannes in der Wirklichkeit schon zu Ende. Er führte jetzt mit den üblichen beiden ständigen Gefährten auf der rechten Rheinseite ein immer bescheideneres Dasein, oft nur noch in Wäldern. Weil dies aber auf den immer weiter wuchernden Mythos ohne Auswirkungen blieb, setzten die französischen Machthaber im linksrheinischen Deutschland ihren Kurs gegen Schinderhannes fort. Die Großmacht schaltete jetzt gegen Schinderhannes die rechtsrheinischen Reichsstände ein. An Unterstützung durch Frankreich bei der bevorstehenden großen Säkularisation interessiert, waren diese zu außergewöhnlichen Fahndungsmaßnahmen bereit. Schinderhannes – der vermutlich nicht überblickte, was sich da gegen ihn zusammenbraute – versäumte es jedenfalls, sich jetzt aus dem Rhein-Main-Gebiet zu entfernen und unterließ Vorsichtsmaßnahmen. So fiel er am 31. Mai 1802 gleich dem ersten der in der Regel verlachten (vorher laut angekündigten und alkoholisiert durchgeführten) Streifzüge des Oberrheinischen Kreises in einer abgelegenen Gegend über der Lahn in die Hände. Als Rekrut zur kaiserlichen Armee im Limburg abgeführt, nahm er zwei Wochen lang weitere Gelegenheiten, sich abzusetzen, nicht wahr. Dann ereilte ihn im kaiserlichen Werbehaus in Limburg unversehens Verrat, und er wurde nach Mainz ausgeliefert.
Im seinerzeitigen kaiserlichen Werbehaus in Limburg, ältestes Haus der Stadt, vollendete sich im Juni 1802 das Schicksal von Schinderhannes durch Verrat.
12. Ein großer Schauprozess wurde jetzt von der französischen Justiz gegen eine Schinderhannes-Bande veranstaltet, die es in Wirklichkeit nie gegeben hatte. Dies zuzugeben, kam natürlich nicht in Betracht, nachdem gegen sie sogar Militär in Bewegung gesetzt worden war. Die Besatzer hätten sich dann lächerlich gemacht. Um den gewünschten Prozess gegen eine Bande führen zu können, musste aber erst einmal eine Bande da sein. Was die Justiz wusste, reichte jedenfalls nicht aus, um eine solche vor Gericht zu bringen. Hier aber half Schinderhannes aus der Patsche. Um eine Kronzeugenregelung bemühte er sich nicht. In der Illusion, mit bedingungsloser Kooperation seinen Kopf freikaufen zu können, schritt der berühmteste der deutschen Räuber zum vermutlich größten Verrat, den die Geschichte des Räuberwesens kennt. Alle 19 mit ihm Guillotinierten brachte er durch seinen Verrat in Haft, von vielen davon hätte die französische Justiz ohne diesen gar nichts gewusst. Unter den so durch ihn auf die Guillotine Gekommenen waren mehrere Bauern, die sich ein einziges Mal zu einem dann abgebrochenen Überfall von Schinderhannes hatten bereden lassen! Während eine Reihe tatsächlich gefährlicher Ganoven, die meist ebenfalls nur einmal mit Schinderhannes in Berührung gekommen waren, auf der rechten Rheinseite nicht zu packen war. Für Überfälle auf Häuser auf dem Lande konnte die französische Justiz Sondergerichte einsetzen, die ausnahmslos die Todesstrafe zu verhängen hatten. In diesem Rahmen auf ein wenigstens formal rechtsstaatliches Verfahren bedacht, nahm sie sich fünf Vierteljahre Zeit, um eine mehrere tausend Seiten starke Prozessdrucksache zu erstellen. Sie ist die Hauptquelle für die Schinderhannes-Forschung (zugänglich gemacht durch die Digitalisierung von Udo Fleck und erste Aufarbeitung von Peter Bayerlein). Die französische Justiz schaltete auch den seinerzeit bedeutendsten Juristen des linksrheinischen Deutschlands, den führenden deutschen Republikaner Rebmann als Richter ein. Er gab sich als solcher dazu her, das „Gemetzel“ (Gensicke) an 20 teilweise im wahrsten Sinne des Wortes bloßen „Mitläufern“ auf den Weg zu bringen. Bis zuletzt sprach er von einer „Bande“ des Schinderhannes, obwohl er es jedenfalls besser wissen konnte. Dass darüber im Verlaufe der sich über einen Monat hinziehenden mündlichen Verhandlung überhaupt diskutiert wurde, findet sich nicht überliefert. Die linksrheinische Berichterstattung über den Prozess stammte nämlich vollständig von einem Freund Rebmanns und Protegé der Besatzungsmacht, und sie wurde rechts des Rheins einfach übernommen. An dem Begriff „Bande“ wurde nicht gekratzt und publikumswirksam Schinderhannes als tragisch auf die schiefe Bahn geratener leider unwiederbringlich verlorener Sohn dargestellt. Mit seinen Kumpanen, die sein Schicksal teilten, beschäftigte man sich nicht weiter. Gerade durch das Massaker vom 21. November 1803 ist indes der Mythos von der imaginären „Schinderhannes-Bande“ unsterblich geworden.
Mehrere tausend Seiten starke Prozessdrucksache des Schinderhannes-Prozesses.
Grab des Präfekten Jeanbon St. André (vormals calvinistischer Pfarrer und Hauptverantwortlicher für den Schinderhannes-Prozess) auf dem von ihm gegründeten Mainzer Hauptfriedhof.
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